Am 30. November wird die Freiburger Stimmbevölkerung über eine Initiative zur Einführung eines staatlichen Mindestlohns abstimmen. Der Freiburger Arbeitgeberverband (FAV) warnt vor dieser Vorlage, die ein bewährtes Modell, basierend auf der Sozialpartnerschaft und der Berufsbildung, gefährden würde. Daniel Bürdel, stellvertretender Direktor des FAV, erklärt, weshalb diese Initiative die Beschäftigungssituation, die Wettbewerbsfähigkeit und die Berufslehre gefährdet.
Marie Nicolet
Weshalb hat sich der FAV entschieden, sich so stark in dieser Debatte über den Mindestlohn zu engagieren?
Hier handelt es sich um ein zentrales Anliegen für den FAV. Wir setzen uns für den Erhalt der Rahmenbedingungen für KMU ein und sind gemeinsam mit unseren Berufsverbänden stark in die Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen mit den Sozialpartnern eingebunden. In diesem Kontext steht der Vorschlag der Initianten im Widerspruch zu einem System, das sich seit Jahrzehnten bewährt hat. Wenn der Staat beginnt, Löhne festzulegen, wird dies eine tiefgreifende Veränderung der Funktionsweise unseres Arbeitsmarkts zur Folge haben.
Die Sozialpartnerschaft ist eine zentrale Säule des Freiburger Modells. Inwiefern gefährdet ein staatlich festgelegter Mindestlohn diese Partnerschaft?
Es muss klar gesagt werden, dass diese Initiative, wenn sie angenommen wird, die Sozialpartnerschaft gefährden würde. Derzeit ist der Lohn der wichtigste Punkt auf der Verhandlungsagenda im Rahmen der Gesamtarbeitsverträge (GAV). Wenn dieser Punkt aus den Verhandlungen gestrichen wird, besteht ein hohes Risiko, dass die Sozialpartner nicht mehr über die wesentlichsten Bedingungen verhandeln. Dies hat sich in Kantonen wie Genf oder Basel-Stadt gezeigt, die bereits einen Mindestlohn eingeführt haben. Dort wurde die Sozialpartnerschaft deutlich geschwächt und der Austausch ist formeller und weniger lebendig geworden. Es ist der Versuch der Gewerkschaften, die Arbeitgeberschaft zu umgehen und die Zuständigkeit für die Lohnfestlegung dem Staat zu übertragen.
Sie betonen, dass diese Initiative KMU stark belasten würde. Welche Branchen im Kanton Freiburg wären am stärksten betroffen?
Die gesamte Wirtschaft des Kantons wäre von einer solchen Massnahme betroffen, allerdings in unterschiedlichem Ausmass. Zu den am stärksten betroffenen Branchen zählen der Detailhandel, die Gastronomie, die Hotellerie oder das Reinigungsgewerbe.
Manche betrachten den Mindestlohn als Instrument zur Bekämpfung der Armut. Warum halten Sie das für eine nur scheinbar gute Idee?
Es besteht ein hohes Risiko, dass KMU mit niedrigen Margen, insbesondere in den genannten Branchen, keine gering qualifizierten oder unqualifizierten Arbeitskräfte mehr einstellen. Damit würden genau jene Menschen, die diese Initiative eigentlich schützen soll, vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Weshalb?
Wenn ein Unternehmen die Arbeit gering qualifizierter Mitarbeitender nicht rentabel gestalten kann, wird es gezwungen sein zu reagieren, etwa mit Preiserhöhungen oder Entlassungen. Zu den Auswirkungen zählen unter anderem eine Angleichung der Löhne nach unten, wodurch sich der Unterschied zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften verringert, sowie ein erhöhter Anreiz für gewisse Unternehmen, ihren Betrieb in einen Kanton ohne Mindestlohn zu verlegen.
Hinzu kommt, dass sich die Bedingungen für die Wirtschaft derzeit verschlechtern, angefangen bei den Krisen in Europa bis hin zu den von der Trump-Regierung verhängten Zöllen. Die Unternehmen stehen bereits unter Druck, was sie teilweise dazu zwingt, gering qualifizierte oder unqualifizierte Mitarbeitende zu entlassen oder gar nicht erst einzustellen. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit wäre es ein grosser Fehler, die Flexibilität des Arbeitsmarkts einzuschränken.
Die Initiative sieht vor, dass der Mindestlohn an den Konsumentenpreisindex gekoppelt wird. Welche Folgen hat dieser automatische Mechanismus?
Diese Indexierung bedeutet, dass bei steigenden Preisen auch der Mindestlohn automatisch steigt. Heute werden die Löhne jedoch unter Berücksichtigung der Konjunktur und der branchenspezifischen Gegebenheiten ausgehandelt. Mit einem staatlich festgelegten und indexierten Lohn müssten die Mindestlöhne auch dann erhöht werden, wenn die wirtschaftliche Lage einer Branche dies nicht zulässt. Man muss sich bewusst sein, dass die Wirtschaft aus sehr unterschiedlichen Bereichen besteht, die nicht alle gleichermassen von Krisen betroffen sind.
Eines Ihrer Argumente gegen diese Initiative ist, dass der Mindestlohn die Berufslehre gefährdet. Warum würde dies den dualen Bildungsweg abwerten?
Wenn junge Menschen eine Ausbildung absolvieren, tun sie dies auch, um später einen besseren Lohn zu erzielen. Daher ist es notwendig, eine klare Lohndifferenzierung zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften beizubehalten. Der Mindestlohn verringert diesen Unterschied deutlich und schwächt den Anreiz, eine Ausbildung zu machen. Investitionen in die Berufsbildung – wie sie viele KMU tätigen – sind das beste Mittel, um Niedriglöhnen entgegenzuwirken.
Der FAV steht in diesem Kampf nicht allein. Wie arbeiten Sie mit den kantonalen Behörden, Wirtschaftsverbänden und anderen Arbeitgeberorganisationen zusammen, um eine gemeinsame Front zu bilden?
Alle Partner, die sich für dieses NEIN stark machen, haben die Herausforderungen verstanden. Die Wirtschaftsverbände, die Handels- und Industriekammer (HIKF), die Fédération Patronale et Économique (FPE), Bauen Freiburg sowie die vier bürgerlichen Parteien – sie alle prangern die Schwächen und Gefahren dieser Initiative an. Auf politischer Ebene hat der Grosse Rat die Initiative mit einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt, und auch die Freiburger Regierung ist dagegen. Alle sind sich der negativen Folgen eines solchen Paradigmenwechsels bewusst.
Wenn der Mindestlohn nicht die Lösung ist, welche konkreten Massnahmen schlagen Sie zur Bekämpfung der Armut und
zur Verbesserung der Bedingungen der geringverdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor?
Bildung ist nach wie vor das beste Mittel zur Bekämpfung von Armut. Die Unternehmen leisten bereits grosse Anstrengungen, um gering qualifizierte oder unqualifizierte Personen in den Arbeitsmarkt einzuführen. Beispielsweise bei der Integration von geflüchteten Personen führen Berufsverbände in Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Sozialamt (KSA) Integrationsprogramme durch. TechSkills von suissetec Freiburg oder «Façonne ton avenir» des Freiburgischen Bauunternehmerverbandes sind konkrete Beispiele dafür. Indem wir jeder Person die Möglichkeit geben, sich weiterzubilden und Kompetenzen zu erwerben, können wir Armut wirksam bekämpfen, und nicht durch die Einführung von staaatlichen Mindestlöhnen.
Die Debatte dürfte sehr emotional werden, denn es geht um Löhne und soziale Gerechtigkeit. Welche klare und verständliche Botschaft möchten Sie den Freiburgerinnen und Freiburgern vermitteln, um sie davon zu überzeugen, diese Initiative abzulehnen?
Wir dürfen ein System, das seit Jahrzehnten funktioniert und den sozialen Frieden garantiert, nicht gefährden. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Löhne festzulegen. Diese müssen von den Sozialpartnern entsprechend den Branchen und regionalen Gegebenheiten vereinbart werden. Setzen wir uns gemeinsam für ein bewährtes Modell ein, das Stabilität gewährleistet und Tausenden von Freiburgerinnen und Freiburgern Arbeit gibt!