Der Vorschlag der Gewerkschaften, einen kantonalen Mindestlohn gesetzlich zu verankern, wirft gewichtige Fragen auf. Er beeinflusst die Grundlagen des wirtschaftlichen Gefüges und stellt ein funktionierendes Gleichgewicht infrage. Der Freiburger Arbeitsmarkt funktioniert heute auf der Basis eines lebendigen Dialogs. In den paritätischen Kommissionen werden branchenspezifische Lösungen im direkten Austausch zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden ausgehandelt. Dieses System ermöglicht eine praxisnahe Anpassung der Arbeitsbedingungen – differenziert, kontextbezogen und reaktionsfähig unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Situation. Ein zentrales Risiko eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns liegt in der staatlichen Intervention in einen Bereich, der in der Schweiz traditionell den Sozialpartnern vorbehalten ist. Ein einheitlicher, staatlich verordneter Mindestlohn blendet die Heterogenität der Branchenstrukturen aus und schwächt zugleich die Sozialpartnerschaft. Eine solche Zentralisierung steht im Widerspruch zu den Prinzipien des liberal geprägten Schweizer Arbeitsmarkts, der von Eigenverantwortung und sektorieller Verhandlungen lebt.
Ein Modell mit bewährter Anpassungsfähigkeit
Der Dialog unter den Sozialpartnern erlaubt es zudem, auf strukturelle Veränderungen mit hoher Reaktionsgeschwindigkeit zu antworten – etwa im Falle eines Fachkräftemangels, einer anhaltenden Inflation oder konjunktureller Umbrüche. Wo ein starres Gesetz zu Pauschallösungen führt, ermöglicht der bestehende
Rahmen gezielte, sachgerechte und branchenspezifische Anpassungen. Nur wenige Kantone und einzelne
Städte haben bislang gesetzliche Mindestlöhne eingeführt. Seit der Jahrtausendwende wurden nahezu 80 Gesamtarbeitsverträge für allgemeinverbindlich erklärt – ein klarer Indikator für die Wirksamkeit und Legitimität des bestehenden Modells. In Freiburg sollte dieser Weg konsequent weiterverfolgt werden: zum Erhalt eines sozialpartnerschaftlichen Klimas, das sowohl die ökonomische Realität als auch die Besonderheiten einzelner Branchen berücksichtigt. Regulierung darf nämlich nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Förderung eines differenzierten und funktionalen Arbeitsmarkts sein.